Juni 1944 - "Envoi de fleurs..."
Die “Taiseuse”von der Flammenküste war kategorisch : “Ja, mein Herr, sie sind alle beide hochgestiegen, die Mutter und das Mädchen, das kleine Mädchen, sollte ich sagen, um Blumen zu pflücken, da oben, sehen Sie, an der Hecke entlang. Sie schienen sie sehr zu lieben, die Blumen und ich glaube gar, dass die Kleine einen Blumennamen hatte, weil ich gehört habe, wie ihre Mutter sie plötzlich zurückrief, als das Kind zu nahe an die Hecke kam. Es war Sommer, mein Herr, es war heiss und das Gras roch gut, ein bisschen wie heute, mein Herr, aber all das ist jetzt sehr alt ..
Ich, ich hatte die Angst meines Lebens Angst an dem Tag, als die deutsche Patrouille, die da unten auf der Strasse vorbeikam, zu schiessen anfing ..
Am nächsten Tag und auch nicht am übernächsten, sind die Mutter und ihre Tochter nicht wiedergekommen. Am dritten Tag kamen die Flugzeuge mit lauter kleinen blankgeputzten Fenstern, die in der Sonne glänzten. Sie sind so tief geflogen, mein Herr, dass man die Helme und die grossen Schutzbrillen der Leute hinter den Scheiben sah und dann fing es sofort an, Bomben zu regnen, wie eine Kuh, die pisst, da oben, auf der anderen Seite der Hecke. Sie hätten die Hühner und die Schweine sehen sollen, die in alle Richtungen rannten, mein Herr, und dann der Lärm, dieser Lärm!!! Ein Glück, dass sie an dem Tag nicht hochgestiegen sind, die Mutter und die Kleine ! ..
Herr Watt, der Elektriker, ein zuverlässiger Mann, der hat Herrn Pottash erzählt, dem Apotheker, dass man mit Gewalt von ihm verlangt hatte, den Bedienungsstand für die VI der Gegend einzurichten und dass er selbst die Unterbrecher auf einem Pult, das die oberirdischen Kabel der Deutschen verband, angebracht hatte, aber dass er am 7. Juni früh am Morgen alles hingeschmissen hatte, um zu Frau und Kindern, die in den Süden geflüchtet waren, zu fahren (700km per Fahrrad, bitte nachmachen !) und dass er, als er im Dezember zurückgekommen war, nach der Befreiung des Abschnitts, einige Abschussrampen sehen konnte, die im Juli - August gegen England benutzt worden waren und die schlecht geregelt waren (er selbst wartet immer noch auf seine Bezahlung !) und ihre Sprengladungen auf mehrere Dörfer der Umgebung verteilt hatten mit vielen Opfern und Schäden ..
Herr Pottash, der ein gelehrter Mann ist, hat überall hingeschrieben, um sich zu erkundigen, er hat an alle gutgestellten Leute geschrieben, an alle Fahnenträger, an alle mit Tressen und mit Mützen mit Sternen, aber niemand wusste etwas, mein Herr, niemand hatte von diesen zwei Frauen gehört, nicht einmal in den Büros von Paris.
Was mich betrifft, auf jeden Fall weiss ich, mein Herr, dass im Pays de Bray, sonntags bei der Messe, die wichtigen Leute, die, die eine Putzfrau haben, eine kleine Blume im Knopfloch tragen, die sie eine Rosette nennen und das bedeutet anscheinend, dass sie sich gut für Frankreich geschlagen haben, mein Herr, und das ist gar nicht schlecht so, nicht wahr ? ..”
Anmerkung
Envoi de fleurs, Erfolgsromanze. (1898) Text von Henri Bernard / Musik von Paul Delmet (1862-1904).Cf: Tino Rossi/Lyrics : Die Legende des französischen Chansons (variété internationale MM1819 - abeille.musique.com).
Taiseux/Taiseuse, Regionalismus. In Belgien und Nordfrankreich bezogen auf jemanden, der wenig spricht oder auf eine Art, sich auszudrücken : “Er schweigt sich eher aus!”
Sonntag 20. September
In Forges-les-Eaux (Normandie), vor dem Casino, zwei verbrämte, betresste Angestellte mit Hut, Gesichter von nervösen Zuckungen geschüttelt, öffnen die Tür der Mercedesse, die geruhen anzuhalten, wie die Lakaien des XVIII. Jahrhunderts, die die Tür der Sänfte aufhielten, in der Voltaire ankam, um ein Vermögen bei drei Spielen Pharo zu verlieren.
In Forges-les-Eaux, am Empfang des Park Hotels, begrüssen zwei junge Normaninnen, Königinnen der Vollmilch und der Sahne, den Reisenden, der für die Nacht absteigt, während die Dienstmädchen (aus dem Jahrgang 1940) die Koffer bis zu den Zimmertüren schleppen, die sie gierig öffnen.
In Dieppe, bei N., will das Restaurant mit der neuesten Mode gehen und brüstet sich mit den ausgestellten, mehr oder minder gewidmeten Photos von Stars, die wohl oder übel bis hierher geschwankt sind, aber die Chefin empfängt den Gast kratzbürstig und sieht sich genau den Kopf des Eindringlings an, bevor sie ihm erlaubt, sich hinzusetzen. Der kleine Junge der Chefin geht von Tisch zu Tisch, um zu lachen und seine roten Schuhe zu zeigen, wobei er einen “Marienkäfer” hinhält. Die Chefin rächt sich wütend an der Gesellschaft, indem sie ihre Rechnungen schreibt.
In Vassonville lassen die Wiesen, die Kühe, die etwas feuchte Sonne und die BBC, die auf der Antenne des kleinen italienischen Autos ankommt, die Reste des deutschen Gefechtsstands aus der Grossen Geschichte nicht vergessen.
In Dieppe hätte Bichnou, der Kuchenbäcker aller Kuchenbäcker von Katmandu, keinen Platz inmitten der sprühenden Gischt, derartig zahlreich und verlockend sind die Werkstätten für die Herstellung von Apfelkuchen und “battues picardes”. In Dieppe, opulente Schaufenster, Antiquitäten, Buchhandlungen, Lingerie für Damen und junge Damen, ganz genau wie die Mode bei uns.
Sonntag 16. März
Gestern nachmittag, Senlis, Fleurines mit Pflücken von Osterglocken wie an den Ufern von Lake Windermere, den Wordsworth so liebte, aber unmöglich, zur Kaffeezeit einen kleinen Kuchen zu kaufen : eine grosse graue Katze sitzt zwischen den Kuchen, die die schnurrbärtige Bäckerin deshalb zu verkaufen ablehnt.
Sonntag 27. Juli
Auf der Insel Guémicourt, enorme Wiederkäuerinnen, weissgefleckt, braungefleckt, schütteln die Ohren an der Bresles entlang, in einer Landschaft sehr wie Warwickshire. Ein örtlicher Angler geht vorbei und sagt guten Tag. Etwas höher, in der Kirche, deren Mauern zwischen den heruntergefallenen Stücken Gips schwitzen, erklärt eine Stimme am Mikrofon das Tagesevangelium, das kleine bebrillte Damen mit gesenktem Kopf anhören.. Um gerecht zu sein, ich dachte gestern an die Prophezeiung von Malachi : “De medietate lunae”. Das “LEM” ist auf dem Äquator des Mondes gelandet und vorläufig unfähig, einen anderen Breitengrad zu wählen (im Fall des Gegenteils wäre Gefahr, die Prophezeiung ungültig zu machen ?).
Ich habe einen kleinen Schwatz mit einem Wüstling, Zigarettenkippe im Mundwinkel hängend, schwarze Gummistiefel, vier Jahrhunderte früher aus dem Ardenner Wald entkommen, der die Forellen “von oben auf der Brücke aus” überwacht, der einzige Ort, von dem aus das Bauernfolk angeln darf. Überall Verbote, Stacheldraht, bewachte Grundstücke. Zwei junge Rotköpfe gehen zu ihm und sprechen mich plötzlich an, im Tonfall von Markthändlern, als sie meinen Vorschlag hören, die schwarze Forelle mit der Hand zu jagen, unter den Steinen. “Aber das Wasser geht bis zum Bauch !”, ruft einer von ihnen aus.
Das kleine Anwesen, merkwürdig plaziert zwischen den beiden Armen der Bresles, soll einem “Reichen” der Umgebung gehören. Ein Verbrechen soll dort begangen worden sein. Die Kleinbahn trompetet durch das Weideland und fährt hinunter nach Tréport, fröhlich über die unbeschrankten Bahnübergänge quietschend.
Sonntagmorgen 18. April
Aufwachen in Neufchâtel-en-Bray, das “im Knopfloch des Pays de Bray” sitzt, wie unser Geographielehrer am Lycée Fébus sagte ; dann ein Halt vor dem Schloss von Mesnière, diesem kleinen Schmuckstück, das immer noch mit seinem schönsten Wasser glänzt. Die ersten Frühlingslüfte wehen, und es muss eine Seite von Flaubert geben, die es besser sagt als ich, Nicht-Normanne, der ich bin, es ausdrücken könnte.
Montag 21. September
Gestern immer noch die Normandie des Pays de Bray. Das Restaurant “Der Schwan” weist Gäste zurück, weil etwa zwanzig mehr oder weniger betresste Gendarmen sich an diesem Ort restaurieren.
In Dieppe sehe ich, als ich auf den “Leas”, wie man in Folkestone sagt -- und ihrem fetten Gras, das die Knöchel massiert, auf und ab gehe, einen Jugendlichen, der vor seinem walkie-talkie gestikuliert. Die Jugendliche hält sich auf der ersten Etage, lässig auf das Schmiedeeisen des Balkons gelehnt : Mikro und Juliette ?
Samstag 25. Januar
Die Eingeborenen der oberen Normandie, noch sehr flaubertisch, setzen sich am Samstagabend an die Table d’hôte von Gaststätten mit Wikingernamen : das Fette Schaf, der Schwarze Schwan, die Hahn Taverne, der Gekrönte Löwe, etc. Sie langweilen sich (trotz des örtlichen Kinos und des nationalen Fernsehens) und vermissen die grosse Weite, die ihre abenteuerlustigen Vorgänger mit Segel und Ruder durchstreiften. Sie erinnern sich jetzt wieder daran, während sie unter den Backenzähnen aus Stein, im Schutz ihrer rosigen Wangen, die Flügel der Zugvögel zermahlen, Boten aus dem hohen Norden, wobei das Bier der Wotane von ehemals in Strömen fliesst.
Sonntag 26. Januar
Gestern nachmittag, Dieppe kommt aus dem Winter heraus wie aus einem Schrein und wartet auf das Tuch, das ihm seinen silbrigen Glanz zurückgeben soll.
Claude d’Esplas (Le Petit Train d'Auteuil)
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Übersetzung : Dagmar Coward Kuschke
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