Die endgültige Form des musikalischen Dramas erscheint bei Richard Wagner sehr früh. 1813 in Leipzig geboren, im Alter von zwanzig Jahren mit einer herausragenden intellektuellen Bildung versehen, 1848 aus Deutschland verbannt, aufgenommen in Triebschen von den Wesendoncks, Mathilde Wesendonck wird sehr früh die inspiratorische Kraft des Komponisten : die Dichtung bekommt zu dieser Zeit ihren eigentlichen literarischen Wert ; die Musik passt sich der Bewegung des Wortes und der Handlung an, so wie die Dünung die Welle begleitet. Da auf Grund der Gesetze, die das Fortschreiten der Sprache regieren, alles gehört werden muss, ist eine artikulierte Diktion für die Sänger von äusserster Wichtigkeit, auf die Gefahr hin, zu dem berühmten “Bayreuther Gebell” zu werden, das von Wagner selbst sehr bedauert wurde. Jede Szene entwickelt sich in einer prächtigen, an die polyphonen Strukturen Bachs erinnernden Harmonie, die Instrumentierung ist mit einer Geschmeidigkeit, einem Glanz und einer Pracht ausgestattet, die bis dahin ungehört waren.
Das Orchester, bisher einfacher Gesangsbegleiter, bekommt eine Rolle im Vordergrund, es kommentiert jetzt das gesungene Wort und dringt tief in die Wesen ein. Leitfäden, genannt “Leitmotive”, führen uns in die schlecht erleuchteten Tiefen der trübsten Gefühle, die der Dichter-Musiker in unserer Gesellschaft erforscht.
Kein Zweifel, dass in dieser für das Genie Wagners charakteristischen Entwicklung Mathilde Wesendonck eine entscheidende Rolle gespielt hat, sie die, anlässlich einer Diskussion mit der Schauspielerin Minna Planer, im Beisein des Meisters, Rienzi den ihm unwürdigen Produktionen zugeordnet hatte ; was Wagner dazu brachte, an Liszt zu schreiben (4. März 1854) ; “Meine Art, die Beziehung zwischen dem gesprochenen Wort und der Musik zu sehen, hat sich völlig geändert... Ich bin jetzt in einer Entwicklungsphase die mich zu einem totalen Umschwung gebracht hat.” Unter diesen Bedingungen wird also Wagner sein Werk Tristan und Isolde schreiben, eine Oper, deren gewaltiges Finale sich zu der allen bekannten “Verklärung” entfaltet. (Siehe hierzu unser Buch Tristan et Iseut / Tristan & Isolt - Moskau IMA Press 1994 -Tristan und Isolde / ADG-Paris).
Dieses ästhetische Prinzip, ebenso wichtig wie das von den Mitteln des indirekten poetischen Ausdrucks und das von der Synthese der Künste und Techniken, werden sich die Symbolisten im Kielwasser von Baudelaire (Essai sur Wagner) zu eigen machen.
In der Nachfolge von Baudelaire wird Mallarmé in der Wagner-Affaire allerdings einen entscheidenden Einfluss haben, und bis zum Ende wird er ein glühender Verfechter von Wagners Musik sein. In der Zeit intellektueller Freiheit, die ihm Janson de Sailly lässt, das “miserable, weit entfernte Lycée” (von seiner Wohnung fünfzehn Minuten mit der Lokalbahn, zu denen fünf Minuten zu Fuss hinzugerechnet werden müssen) und die anderen Schulen, an denen er für und wider das Schulinspektorat, schlecht informierte Familien und einen schwierigen Gesundheitszustand diente (“Dreissig Jahre, nie versagend, hat er diese schwere Aufgabe erfüllt”, stellt seine Tochter Geneviève bitter fest), wird Stéphane Mallarmé eifrig die Konzerte von Lamoureux oder Pasdeloup besuchen, mit Verlaine an “La Revue Wagnérienne” zusammenarbeiten, die edle Haltung der Nerval, Banville, Villiers de l’Isle-Adam, Catulle Mendès, Judith Gautier begrüssen, die auf Pilgerschaft nach Bayreuth gehen, von der Oper von Garnier sprechen, die am 5. Januar 1875 eröffnet werden sollte, wobei er darauf besteht, dass bei dieser Gerlegenheit ein französischer Komponist auf den Aushängen erscheinen sollte, oder andernfalls, fügt er hinzu, “könnte man nur eins machen : unbedingt den Tannhäuser nehmen und ihn durch aussergewöhnliche Prachtentfaltung für die Beleidigung rächen, die ihm vor Jahren im Namen Frankreichs von etwa hundert Flegeln angetan worden ist”, und der Dichter fügt hinzu, mutig aber objektiv “eine noch unmöglichere Lösung, seit den Waffen, seit dem Elsass, seit dem Blut !”
Was die von den okkultistischen Symbolisten sehr begrüsste Theorie einer esoterischen Interpretation Wagners betrifft, wird Mallarmé ein vorsichtiges Schweigen bewahren, aber er übernimmt die der Synthese der Künste und ihrer Techniken und die bezüglich korrespondierender Beziehungen. Er wird sogar so weit gehen, hinzuzufügen, dass die Wiedergeburt des Theaters vom Tanz kommen wird, der, recht eigentlich stumm, aber von dem Dichter gelenkt wird, dessen Gedicht zwischen den Schritten der Tänzerin aufgeschrieben werden wird, wobei die Synthese von Dichtung und Musik mit der bildenden Vision verwirklicht wird. (Prélude à l’après-midi d’un Faune / Mallarmé / Debussy.)
Mallarmé wird auch noch anerkennen, sich der “kleinen” Synthese, die technischen Mittel poetischen Ausdrucks betreffend, bedient zu haben, da Vers und Prosa, zum Beispiel, “durch subtile und unendliche Übergänge” zu einem künstlerischen Ganzen verschmelzen müssen, weil doch Un coup de dés jamais n’abolira le hasard. (Einmal würfeln wird niemals den Zufall abschaffen.) Er wird auch oft in der Art von Wagner komponieren, indem er mehrere, nicht leicht zu unterscheidende Themen ineinander schlingt, so wie er sein Leben ineinanderschlang. War er nicht auf anderen Gebieten Literaturkritiker, Musikkritiker oder soagr Eisenbahnkritiker : der Bahnhof Saint-Lazare ist “der geistigste und pariserischste von allen”, und er rät auch, die Felsen von Pen’March oder die Klippen von Etretat mit den “Trains de Tempêtes” (Sturmzüge) zu besuchen, in Erinnerung an die Zeiten, wo er selbst die Sommerferien in der Gegend von Brest, Boulogne oder Dieppe verbrachte, von wo aus er nach London über Newhaven fuhr oder andere Ferien in der Limagne oder um Méry Laurent, mehr oder weniger blauer Engel, zu gefallen, zog er die ortsübliche Tracht an, die die Zeitgenossen von d’Urfé mehr nach ihrem Geschmack gefunden hätten als Geneviève, die eigene Tochter des Dichters :”I, das ist nicht schön !”
Tatsächlich hätte die Musik vielleicht Mallarmés Ambitionen besser entsprochen als die Sprache, denn der Dichter schreibt in Divagations : “Die Musik verbindet sich mit dem Vers, um, seit Wagner, die Dichtung zu formen” und ebenso “jede Seele ist eine Melodie, die es zu verbinden gilt Die typographische Anordnung von Un coup de dés... nähert sich der von Musikpartituren. Wird nicht Mallarmé, Übersetzer von Edgar Allan Poe, auf seinem persönlichen Ritt zum Eldorado, das Gewand von Marasquin, von Miss Satin oder von Madame de Ponty anziehen und seinen Leserinnen die Wahl eines Korsetts im Bon Marché empfehlen; Chef-Abschmecker bei Brébant für die Gastronomie oder das von Marliani, Tapezierer-Dekorateur, Fürst der Salons ; feine Nadelarbeiten, die ihm auch halfen, ein bescheidenes Segelboot zu erwerben, natürlich wenig vergleichbar mit der Thetis (oder muss man sagen Der Fliegende Holländer ?), die im Juli 1839 Wagner von Norwegen nach Boulogne brachte... Man musste sehr wohl “den Hochöfen des grossen Werks Nahrung geben” !...
Letzte Analogie Wagner/ Mallarmé in diesem “animus/ anima” Dialog : die Frauen. Ihre Namen werden sein Schoeder-Devrient, Minna Planer, Mathilde Maier, Jessie Lassot, Cosima Liszt, Judith Gautier, Marie, Méry Laurent oder Berthe Morisot, deren Feuer-Blick auf dem Gemälde von Manet die unsterbliche Carmen seines Nachbars Bizet, in Bougival, hervorruft; diese Inspiratorinnen oder Ratgeberinnen im Hintergrund (Musen?), umgeben von einer Pleiade von Schöngeistern oder Künstlern, ohne die nichts möglich gewesen wäre : die Renoir, Degas, Monet, von Lenbach oder andere; alle gleichzeitig und einzeln , alles in allem und am Ende der Suche, Kundry, Elsa, Elisabeth oder Isolde...
Hier beginnt eine andere Geschichte.
Claude d’Esplas (Les Merlufleaux)
Anmerkung
Brief von Claude Monet an Caillebotte (Musée d’Orsay : Les Rochers de Belle Isle)
“Ich bin in einem Land von herrlicher Wildheit, eine Anhäufung schrecklicher Felsen und ein Meer von unwahrscheinlichen Farben, jedenfalls bin ich sehr davon eingenommen, obwohl es mir recht schwerfällt, denn ich war gewohnt, den Kanal zu malen und ich hatte zwangsläufig meine Routine, aber der Ozean ist etwas ganz Anderes.” (1886)
CF : Tristan et Iseut / Tristan & Isolt - Moskau IMA Press 1994 - Tristan und Isolde / ADG-Paris / Übersetzung Dagmar Coward Kuschke - Tübingen
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