Der Dichter, als Prolog
"Ich lad euch, schöne Damen, schöne Herren
Und die ihr hört und schaut was Gutes gern
Zu einem funkelnagelneuen Spiel,
Im allerfunkelnagelneusten Stiel…" Wilhelm Müller
Es war einmal ein blonder Müllersbursche, einfach, einfältig, trunken von frischer Luft und weitem Raum, der sich in die hübsche Tochter seine Meistersleute verliebte, ein schönes Fräulein mit blauen Augen…
Das Schiksal bestimmte ihnen ein Rendez vous am Ufer eines frischen Bachs, ewiger Vertrauter, ewiger Reisender im Herzen der grünen Flur Österreichs. Der Müllerlehrling war aufrichtig; das Fräulein kokett; sie zeigte sich den Rufen des Horns zugänglicher (« das nennen Sie Kunst », sagte Schubert zu einem dieser « Windbläser » des Orchesters der Wiener Oper) als dem Zittern der Laute ihres erstarrten Liebhabers.
Das Fräulein wird also das Kristallwasser, in dem sich die « Forelle » munter bewegt, den Geruch von frischem Heu, den Mond und die Sterne, den unendlichen Himmel vergessen, und dies, um desto besser den Hals nach der großen Straße zu recken, die zur Stadt führt und auf der ein Prahlhans mit seinem Gewehr vorübergeht, beladen mit den abgezogenen Häuten unschuldigen Wilds, auf diese Weise die Verzweiflungstat des armen Müllerlehrlings, abgewiesen von der gesellschaftlich höher stehenden Geliebten, provozierend.
Man erinnert sich – so will es wenigstens die Legende – wie Franz Peter Schubert, zu Besuch bei seinem Freund, dem Sänger Randhartinger, unbemerkt eine Gedichtsammlung, die auf dem Tisch herumlag, auslieh. Das war die « Schöne Müllerin » von Wilhelm Müller, Dichter, Spezialist für Philologie, für alte Sprachen, für Geschichte undglühender Leser von Shakespeare,der mit dem Zyklus den Geist des volkstümlichen germanischen Gesangs, so wie er von der Minnesängertradition, wenn nicht gar der Trobadoure, abstammt, wieder auffinden wollte und der sehr gehofft hatte, daß sich vielleicht eines Tages irgend eine verwandte Seele fände, die Melodien wahrnehmen würde, die aus seinen Worten hervorgehen und sie Ihm zurückgeben würde. Man weiß, wie am nächsten Morgen (als Entschuldigung) Schubert sich ans Klavier setzte und ihn, « mit seiner angenehmen Tenorstimme, sich selbst begleitend », einige dieser frisch erblühten, aus der fraglichen Sammlung entnommenen Melodien vorsang.
Der Dichter und der Komponist sind sich nie gegegnet. Was hätte also Müller an Schubert (oder die jetzige Interpretin) geschrieben, wenn er seine « Schöne Müllerin » so gehört hätte, wie sie uns hier in einer Folge kleiner lyrisch-dramatischer Bilder, als spontaner Ausdruck der germanischen Seele, oder der Seele schlechthin, von einer Interpretin musikalischer Nationalität präsentiert wird.
Aber lassen wir die Interpretin selbst zu Wort kommen : « Das Ziel kann hier nicht die Großtat sein. Es handelt sich lediglich darum, sich der Schöpfung anzunähern, der des Dichters ebenso sehr wie der des Musikers, indem man sich selbst vergißt, dann den einen und den anderen getrennt trifft, dann zusammen, in ihrer Suche nach dem Absoluten, ganz am Ende einer neuen Ästhetik, wo das Instrument zur Stimme und die Stimme zum Instrument wird ».
Selbst wenn Schubert sich der Grenzen seines Klavierspiels vollkommen bewußt war (in diesem Zusammenhang siehe « Erlkönig » vom 08.05.1993, Rachmaninoff Saal, Moskau, Weltpremiere), selbst wenn Müller eingestand, daß seine Lieder nur ein halbes Leben erreichen, ein Papierleben in Schwarz und Weiß, bis die Musik ihnen Seele einhauche, so scheinen doch hier Natur und Kunst, die der glücklichen Formulierung Goethes zufolge, zu fliehen schienen, endlich zusammenzutreffen, am Ziel einer möglichen « hommage elegiaque » der hübschen Clairette an die schöne Müllerin des « Petit Trianon ».
CLAUDE D'ESPLAS - Die Musiklektion
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Übersetzung Dagmar Coward Kuschke - Tübingen
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