Arcachon 1965. Tony Poncet vertraut einem Journalisten-Freund an: “...keiner der als gross eingestuften italienischen Tenöre, Mario del Monaco, Giuseppe Di Stefano, Franco Corelli, singt tonrein (immer einen halben oder ganzen Ton tiefer als die Partitur)...Deshalb würde ich es begrüssen, wenn man eine Woche lang die zehn besten italienischen Tenöre versammelte, und ich nehme einen nach dem anderen vor. Dann würde man hören, wer singt, im Gegensatz zu denen, die vokalisieren.
In Vauvert, in Toulouse, in Belgien, in Lyon, Bordeaux, in Saint-Etienne, in Toulon oder in Cannes wird man sagen, dass Tony Poncet der ungewöhnlichste Tenor der Welt ist. Man wird nicht erklären, dass - seinetwegen - die höhere Passagennote, wie die ‘Techniker der Musik’ sagen, so hoch geworden ist, einfach aus Sorge um den Originalton, dass selbst ein Caruso seine Register verloren hätte. Vom Land der Reben zur Erde des Hopfens werden nicht alle diejenigen genannt, sie sind zu zahlreich, die, wie jener Major der belgischen Armee und seine 43 Aïda, mit ihm und durch ihn den Äther des Belcanto einatmeten. Von der Kathedrale von Bagnères, Ausgangsgpunkt der Stimm-Wellen von Alfred Rolands Quarante Chanteurs Montagnards, die Europa eroberten, zu den einfachen Landkirchen wird man den Namen des Ersten Solisten aus dem Bédat verchweigen (wer hat ihn nicht sofort an dem Minuit Chrétiens oder an dem Ave Maria inmitten der reinen Akzente derer, die an seiner Seite debütierten, erkannt?)...
Seine Voyage au Bout de la Nuit, Tony Poncet hat sie ebenfalls am Place Clichy begonnen, zwei Schritte von den Wacker Studios, in einem grossen Café (das zu jener Zeit von Leuten aus München frequentiert wurde, als er selbst, in der Art von Dufilho, in Bayern die Praxis europäischer Gemeinschaft vor jeder dokumentarischen Festlegung erlebte). Er teilte dort die Einzelheiten von Le Rêve Passe mit: er kam an vom gare d’Austerlitz; er sang die Marseillaise mit einem direkt von den Bergwiesen des Bigorre mitgebrachten Akzent, den ihm, zwischen Birne und Käse, in Ermangelung anderer Gänge, die Salon-Divas vorwarfen. Indessen ein Akzent, den weder die kleine Hirtin von Bartrès, noch ihre Gesprächspartnerin, die Tony mit einzigartiger Inbrunst auf Lateinisch grüsste (er war vielsprachig!), verleugnete.
“Er war Hirte”, warf eines Tages herablassend ein Tenor mit einer Stimme ohne hohe Töne ein. Er war in der Tat der Hirte der Hirten, er war “Arnold”, Hirte und “dalhayre” (Schnitter), wie die Kenner auf den grasigen Hängen der Pyrenäen-Berge sagen, wo sich die Riesen der Tour de France abquälen, diejenigen, die, wie er, ab den ersten Kehren von Ste-Marie-de-Campan in Schwung kommen.
Natürlich ging er mit seinem Grasmäher über die Rasen von Listrac oder St-Aigulin; aber er verbrachte Stunden damit, seine scharfe Sense mit grünem Griff und roten Ornamenten zu schwingen, vielleicht der Einzige, der das in diesen Dörfern an der Grenze der Gascogne, an denen sein Herz hing, noch konnte.
Selbstverständlich polierte er sein Teleskop-Gewehr; aber Gaspard (aus dem Tierheim in Tarbes), sein Miniatur-Pyrenäenhund, hat nie ein Kaninchen aufgestöbert (nicht einmal als Frikassee) für seinen Herrn, der Elite-Schütze war und nie (wer wusste es nicht?) ohne den kleinen schwarzen Koffer, den Colt und die Kugeln reiste, Erinnerung an vergangene Appelle oder Gegenappelle (mangels Vorhang-Appellen) im Stalag VII A und an seine Weigerung, für die Ästheten zu singen, die den Tenor Joseph Schmidt zum Schweigen gebracht hatten. Gewiss führte er ein herz- und halsbrecherisches Leben: Mechaniker, Chauffeur, Panzerfahrer, “Bulldozer der französischen Oper”, Baustellenleiter, könnte man sagen; er machte schnell. Kurz vor Dachau brauchten die Panzer von Patton nicht nach dem Schlüssel zu fragen: Panzer-Mann Poncet kannte die Musik. Er gab ihnen den Takt an. Die Amerikaner erinnern sich, sie, die ihm den Freiheitsorden verliehen “because we have not forgotten” (weil wir nicht vergessen haben). Sein letztes Auto war eine deutsch-amerikanische Schöne: er hatte Frieden gemacht!
Tony Poncet dans le rôle de Radamès (Aïda de G. Verdi) peint par C. Robbione - Collection particulière Lolita Pallarès
Die Frauen? Wie hätte er sie nicht lieben können? Madame Butterfly begegnete er in Tokyo, Micaëla in Bukarest. Er nannte Beverly Sills (“Ah, was für eine Königin von Navarra!”), mit der er Les Huguenots in New York sang, und nicht Maria Callas, die diesem “schönen Teufel!” von Tony Poncet Di Stefano vorzog. Er zeigte seinen weiblichen Partnern stimmlichen Respekt; seine hohen Töne hätten sie sehr in Verlegenheit bringen können, hätte er dies gewollt. Noblesse oblige! Dieser Don José, dieser “Piaf” der Oper, wie Germaine Lubin sagte, die die kleine Frau in Schwarz von La Vie en Rose ebenso bewunderte, wie es dem “italienischen” Sänger des Rosenkavaliers in der Gesellschaft der grossen Toreadore, seiner Freunde, gefiel: El Cordobes, Cerdan, Albaladejo. Von den Arenen von Lutèce zu denen von Nîmes hat er jedoch mehr Escamillos als wilden Tieren den schicksalhaften Stoss gegeben.
Er liebte das Baskenland, den Himmel von Pau, den Rugby-Champagner der Spieler von Bagnères, die Konturen des Bassins von Arcachon (“nichts bis nach Amerika”, von wo er zurückgekehrt war, mehr ein Globetrotter als die Kinder von Harlem, nachdem er die Menge “entflammt” und es abgelehnt hatte, seine Stimme einem Mario Lanza für die Zwecke eines Films, den letzterer mit Tebaldi gedreht hatte, zu leihen. Er liebte die Kiefern der Landes, den Rosé des Béarn, die Pyrenäen-Bergbäche und ihre Forellen, die Westerns, wo die Bösen immer bestraft werden (“allerdings muss man zuerst schiessen!”), die Kriegsfilme in ihrer Originalfassung (“um mein Englisch zu üben”) und die Boule-Spiele unter dem Laubwerk der Bäume von Capvern mit Fernandel und Brassens, deren “Toute la vérité, Messieurs, je vous la livre...” (Die ganze Wahrheit, meine Herren, ich liefere sie Ihnen...) er schätzte.
Treu seinen Freunden, den Teilhabern seiner etwas wilden Kindheit, von der ihm eine Vorliebe blieb, Grenzen ohne Pass zu überschreiten (“vom Gegner exportiert, habe ich versucht, mich wieder zu importieren, allein, ohne Impresario”), den Kameraden der Gefangenschaft, den Bühnenarbeitern an der Oper, Luis Mariano, der ihm seine ersten Engagements verschaffte, Fernand Raynaud, den Tony Poncet zur Zeit der Opera Non Stop vergeblich auf den Brettern der Oper von Clermont-Ferrand suchte und der, auch dem Volk nahe, die Versüsser der Pille, das übertriebene Lob, die falsche Offenheit, schlecht vertrug - trotz aller Bemühungen bestimmter Kreise, ein Kontra-C als ein D zu verkaufen... oder (einem denkwürdigen Turnier in Cannes zum Trotz) einen König Faruk als Radames.
Dem Kritiker, der ihm vorwarf, in seinem Bühnenspiel “so lebhaft und bewegend zu sein wie ein Stück Holz”, antwortet die einfache Überlegung dieser Platzanweiserin in einem Grand Théâtre der Provinz: “Ich habe ihn nie im Bajazzo auftreten sehen, ohne dass ich eine Träne im Auge hatte” oder Dominique Plessis, der die Bemerkung eines “grossen” Sängers richtigstellte: “Tony Poncet ist zehn Centimeter kleiner; aber wenn er singt, misst er zwei Meter”. Bescheiden wie er war, erkannte unser Tenor indessen an: “Caruso ist zwei Centimeter grösser als ich, aber er hat zwei hohe Noten weniger”. Der Troubadour Poncet war aus dem Holz, mit dem man Flammen macht.
Diese Stimme des Jahrhunderts, mit ihrem Erz-Legato (haben Sie ihn Espana mia oder Te Quiero singen hören?), eine Malibran hätte ihr standgehalten; eine Carmen wäre nötig gewesen, um diesen Don José zu beugen, aber die Zigeuner (Zigaretten), er liebte sie nur “maïs” (Mais), um den Rauch zu vermeiden. Er, dessen Karriere ihren Schwerpunkt in Austerlitz und Wagram hatte, kaum stiess er die Tür zu irgendeiner Brasserie der rue Legendre auf - einer Strasse, in der sich doch recht grosse Namen zeigten - , schon bedrängten ihn zehn Personen mit der Bitte um seine Unterschrift als Erinnerung an die Zeit, als die Dirigenten “ihre Mayonnaise rührten”, während sie auf das Ende des Applauses warteten, der die Phrase “ô, Mathide, idole de mon âme” in einem wahren Delirium begrüsste. “Denn diese Fülle von Diktion und Stimme überwältigten den Hörer, und die bewunderungswürdigen Melodien des grossen italienischen Meisters erstrahlten in einem neuen Licht durch die Brusttöne dieses herrlichen Organs und eine Deklamation von unbekannter Kraft”: so die Worte von Charles Gounod, der Duprez gehört hatte und auf diese Weise “au passage” den Helden von Wilhelm Tell grüsste.
Unbesiegt ist Tony Poncet allein, im Gewand Arnolds, fortgegangen, auf dieses wunderbare Land zu, diesen glückverheissenden Garten, wie in der Afrikanerin, seine Schaffelljacke noch am Garderobehaken, rechts, des Grünen Hauses, seine kleine Baskenmütze “vergessen” in der rue de Rome bei der “Ersten Sopranistin Frankreichs” - wahrscheinlich in höchster Hoffnung - um vielleicht besser zu singen: “und diese fröhlichen Soldaten, Franzosen, sind unsere Soldaten...” (Le Rêve Passe)
CLAUDE D’ESPLAS
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Übersetzung : Dagmar Coward Kuschke (Tübingen)
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