Mit der Erfindung des Cabinet noir hatte Kardinal Richelieu ein gutgehendes Unternehmen geschaffen (vier Angestellte, zweiundzwanzig Agenten, darunter besonders Neapolitaner, Spezialisten im Aufbrechen von Postsiegeln). Ludwig XV., Herrscher über zwanzig Millionen Untertanen und selbst beherrscht von Melancholie-Anfällen, alterte in der Tat schlecht, trank nicht und fand jeden Morgen Interesse allein an der Lektüre des Sittenberichts, der ihn besser als irgendjemand über den Zustand des Königreichs unterrichtete und gleichzeitig ein wenig seinen Zorn belebte.
Es war Françoise d’Aubigné, Marquise von Maintenon, die die Idee hatte, rechtschaffenen Männern untadelige Gattinnen zu liefern: sie gründete also die Demoiselles de la Croix de Saint-Louis, eine Mischung von Rang und Würde mit einem Schuss Patriotismus für diese “grognardes” im Unterrock, d.h. in schwarzen Röcken und bis zum Hals geknöpften weissen Hemdblusen; die in einem Uniform-Nachthemd schlafen (denn, wie es ein Kollege von Scarron einhämmerte: “eine Frau, die Brust und Hinterteil durch enge Kleidung zeigt, teilt jedem Mann mit, dass ihr con Nahrung verlangt”), in etwa einhundertdreissig Betten mitten in mönchischen Schlafsälen; die weder Make-up, noch Zigaretten benutzen, auch nicht grobe Sprache à la Madame Sans-Gêne; die mit ihrer weiblichen Gegenwart die Bälle der Militärschulen “Armbrust” und “Stein” beehren; die den König am Tag des jährlichen Konzerts empfangen; die um 7h aufstehen, um 21h30 zu Bett gehen; die im Speisesaal das Porträt des Kaisers in ganzer Figur grüssen; die in der Herde ausgehen, immer von Hirtinnen begleitet (die Leute in der Nachbarschaft betrachten sie als Nonnen und als Vater-Töchter); und die vor allem die strengen Gesetze des Poissard Katechismus respektieren: “Ich bin kein loses Mädchen - wir ham nich viele Liebschaften; und auch nich so’n Fräulein mit Schosshund - wir unterhalten keinen Liebhaber”; die die kleine Dervieux bewundern, die 400 klingende louis zurückwies, die ihr Milord Egrement hatte bieten lassen, damit sie ihm erlaubte, ein einziges Mal einen Pfeil in ihren Köcher zu schicken; die sich über die Moral der tscherkessischen Tataren entrüsteten, die fanden, dass bei ihnen eine Frau entehrt wäre, die bei der Beerdigung ihres Mannes auch nur den geringsten Seufzer von sich gibt, Beerdigungszeremonie, bei der es unter anderen Vergnüglichkeiten Sitte war, vor allen Anwesenden und wie um der Natur die Stirn zu bieten, ein fünfzehnjähriges Mädchen zu entjungfern; die über die Prinzessin von Enrichemont lachten, die, wenn zornig auf ihre Kammerfrauen, diese damit bedrohte, sie ihren Lakaien zu einem bestimmten Zweck zur Verfügung zu stellen (was genau der Grund war, weshalb sie sie oft ärgerten); die Anstoss nahmen an der Verordnung vom 27. August 1763, die alle Neger und alle Negerinnen verpflichtete, das Königreich zu verlassen und sich auf die jeweiligen Besitzungen ihrer Herrschaften in Amerika zurückzuziehen, während all jene, die nicht Sklaven waren, wie es sich gehört nach Cayenne geschickt wurden, und dies, weil sich eine zu grosse Vorliebe der weissen Männer für Negerinnen und der weissen Frauen für Neger entwickelt hatte; mit einem Wort, die Gott fürchten, ohne andere Ängste zu haben, es sei denn, eines Tages dem neuen Botschafter an La Porte gegenüberzustehen, so wie dieser Mehemet-Effendi, dem allein Justine die Lanze senken konnte.
Cf. Catéchisme Poissard: Sammlung von Beleidigungen und groben Worten, von dem Autor Vadé (1758) bei den Frauen von la Halle, besonders den Poissardes: dreiste, grobe, freche Frauen, gesammelt.
Übersetzung Dagmar Coward Kuschke - Tübingen
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