Als Stille eintrat nach den allerersten Takten der Ouvertüre seiner Oper Der Bärenhäuter, wusste Siegfried Wagner, Dirigent bei dieser Gelegenheit, dass das Pariser Publikum vom place du Châtelet gekommen war - zu folgendem Programm: Die Götterdämmerung, Ouvertüre der Meistersinger, geschrieben in dem kleinen Haus am Quai Voltaire (ein von den Stammgästen von Bayreuth geschätzer Name), Der fliegende Holländer (auf immer gescheitert an den Flanken des Hügels von Meudon) oder die posthume Huldigung des Siegfried Idylls (an den jungen Mann, den man allerdings als Vorfahre akzeptieren muss, wie der Dichter sagt) -, um den Flug des Adlerjungen mit dem des Adlers zu vergleichen; aber seltsamerweise standen auf der Ankündigung dieses Frühlingskonzerts von 1900 und unter Missachtung jeden Versöhnungsversuchs durch den, dessen Vater 40 Jahre vorher von den Vätern seines Châtelet Publikums den bekannten Empfang bekommen hatte, weder Tannhäuser, noch Lohengrin.
Das war am 13. März 1861: die Premiere von Tannhäuser; die Anhänger der Prinzessin Metternich und der “Hohen deutschen Bank”, wie man damals sagte, waren bereit, mit der Gräfin Waleska, Frau des Ministers, unterstützt vom Hof Napoleons III. und den Abonnenten der Pariser Oper, den Kampf aufzunehmen. Zwischen den beiden Lagern ein melomaner Krieger, Marschall Magnan, Stammgast am Théâtre Italien, wo er Teile von Wagners Werk gehört und geschätzt hatte. Der Komponist selbst war da, und voll da, denn seit den Proben war es ihm gelungen, alle Verwaltungsleiter gegen sich aufzubringen, hatte die Entlassung des Leiters der Claque gefordert, der berühmte M. David, die Ablösung des Dirigenten, M. Dietsch, verlangt und, nach Alphonse Royer, dem unglücklichen Direktor, für jeden ein unangenehmes Wort gefunden, ausgenommen vielleicht dieses Wort des Mitgefühls für die hübsche Mlle Sax, die von einem aus seinen Wäldern entkommenen Satyr-Musiker verfolgt wurde: “Rühre nicht an Sax, o Fon (frz. Aussprache für “Faun”)!” was in der Folge seinen eigenen Abenden mit dem Orchester nicht guttun sollte.
Die Parole ging von den Mitgliedern des Jockey-Clubs aus, da Wagner, der im ersten Akt sein “Bacchanale” eingefügt hatte, es ablehnte, für ihre Operngläser zu arbeiten. Man wies also den Bediensteten die billigsten Plätze an, man versorgte sie mit Jagdpfeifen und kleinen Hunden zu dreizehn Sous, die bellten, wenn man ihnen den Hinterleib drückte, man warb willige Pfeifer an, plaziert im Säulenumgang des Theaters, denen man...ein Aufgeld zahlte, bevor sie als Präludium zwei Finger in den Mund steckten; man erhob einigen Protest wegen des “Bacchanale” (König und Königin waren in ihrer Loge), man liess einige Pfeifen hören, die auf das nicht enden wollende Duett Venus-Tannhäuser zielten; aber es war der Sängerwettstreit, der den Sturm entfesselte. “Genug, genug!” brüllte ein Saal im Delirium, geschüttelt von homerischem Gelächter, während ein Spassvogel unter Ausnutzung einer vorübergehenden Beruhigung zu pfeifen anfing: “J’ai du bon tabac dans ma tabatière...”, alte Leier, sofort aufgegriffen von Chören, deren Kraft nur der Improvisierung nachstand. Dem Geruch von Verbranntem, der einen Augenblick in der Luft hing, antwortete ein Schrei: “Wagner hat das Theater angezündet”, während die Grammatiker (in diesen Zeiten gab es welche!) einstimmig und durch alle Modi das Verb “ich Tann-häuse” konjugierten. Die Kritik blieb nichts schuldig: “Es ist gewiss, wenn es Herrn Wagner gelingen würde, den Parisern Suresnes an der Stelle von Bordeaux einzugiessen, dann könnte er hoffen, ihnen später Essig zu servieren, den sie ausgezeichnet finden würden”, schrieb Jouvain in “Le Figaro”. Und Henri Rochefort prophezeite: “Wie konnte man wagen, eine Meute Hunde in eine grosse Oper zu bringen? Warum nicht? Man wusste gut, dass bei der dritten Aufführung keine Katze mehr im Saal sein würde...”
Die Alchemie von Lohengrin hielt kaum besser den Klamauk dieser Patrioten aus, die die Vorstellungen von Eden (Direktor Carvalho hatte an der Komischen Oper das Stück abgewiesen) verhinderten, indem sie direkt den Dirigenten Lamoureux, echter Bordelaiser, mit störenden Zwischenrufen visierten, wobei ein vermutlicher Bewunderer von Rouget de Lisle ihm befahl, die Marseillaise zu singen, was sofort unterstützt wurde von den Rufen “Es lebe Frankreich!” zweier Parterre-Zuschauer am Rande des Schlaganfalls; das ganze in dieser dünnen Atmosphäre chemischer Gerüche, die aus Assafoetida-Kanälen oder aus Richers Qintessenz-Kapseln strömte.
Würde man sich angesichts dieser unbeschreiblichen Abende wirklich wundern, dass Wagner die Franzosen von 1879 schlecht gemacht oder die rosa Schminke und den Reispuder der Französinnen verachtet hat (Judith Gautier sollte ihn in der Folge lehren, dass es nur in Paris einen guten Teint gibt); die gleichen Franzosen, die ihn, von Hunger gequält, in den Wäldern von Meudon hatten irren lassen, auf der Suche nach vereinzeltem Pilz, oder die ihn zu Fuss nach Bordeaux geschickt hatten, versehen mit einem versiegelten Brief des Direktors des Konservatoriums, Cherubini (“Ich schicke Ihnen diesen abscheulichen Langweiligen, um ihn loszuwerden; werden Sie ihn Ihrerseits los, auf welche Weise Sie wollen”), an seinen Kollegen, den Direktor des Grand Théâtre von Bordeaux. Das Erstaunen ist noch grösser über andere, allerdings spätere Erklärungen: “Ich habe angeblich einen Groll, weil man mir Tannhäuser ausgepfiffen hat? Aber zunächst: sind die Leute überhaupt sicher, ihn so gehört zu haben, wie er ist”? Aubert wusste es, “der Augenblick für aufrichtige Musik war noch nicht gekommen”, oder auch “die Franzosen, das ist gar nichts im Vergleich zu dem, was mir meine Landsleute in Deutschland zugefügt haben, Pedanten, die sich ernst nehmen, weil sie den Doktorgrad haben...die Eseleien, die sie schreiben, in philosophischem Stil, sind deshalb nicht weniger Eseleien...”; und Wagner fügt hinzu, fünfzehn Jahre danach: “Noch heute kommen mir die schmeichelhaftesten Würdigungen aus Paris, und obendrein habe ich die Gewissheit, dass, wenn die Franzosen meine Dramen spielen, kein Volk sie so spielen wird wie sie.”
Die Bewunderung von Baudelaire, von Champfleury, von Schuré, von Villiers de l’Isle-Adam und von vielen anderen für den Komponisten von Tristan und Isolde ist bekannt; aber überlassen wir Catulle Mendès, der allerdings Grund hatte, sich zu beklagen, das Wort (fast) am Ende: “Ich beschränke mich darauf, ihm nicht die Hände zu reichen, die ihm applaudieren.”
Es ist Mallarmé, der in der Affäre Wagner den entschiedensten Einfluss haben wird, und bis zum Ende wird er ein glühender Verfechter der wagnerschen Musik sein. In der Zeit intellektueller Freiheit, die ihm Janson de Sailly lässt, dieses “elende, weit entfernte Gymnasium” (fünfzehn Minuten mit der Vorortbahn und weitere fünf Minuten zu Fuss von seiner Wohnung entfernt) und die anderen Lehranstalten, in denen er diente, für und wider die Generalinspektion, wider die schlecht informierten Familien und trotz eines schwierigen Gesundheitszustands (“dreissig Jahre ohne Unterbrechung führte er diese schwere Aufgabe durch”, stellt seine Tochter Geneviève bitter fest), wird Stéphane Mallarmé beharrlich die Konzerte Lamoureux oder Pasdeloup besuchen, wird mit Verlaine an der “Revue Wagnérienne” zusammenarbeiten, wird die edle Haltung der Nerval, Banville, Villiers de l’Isle-Adam, Catulle Mendès, Judith Gautier beim Aufbruch zur Pilgerfahrt nach Bayreuth, applaudieren, wird von der Opéra de Garnier sprechen, die am 5. Januar 1875 eingeweiht werden sollte und darauf bestehen, dass ein französischer Komponist bei dieser Gelegenheit zur Aufführung kommen sollte, oder, falls nicht, fügt er hinzu, “könnte man nur eins machen: unbedingt Tannhäuser nehmen und durch eine ausserordentliche Ruhmesentfaltung die Beleidigung rächen, die ihm ehemals im Namen Frankreichs von hundert Flegeln zugefügt worden ist”; der Dichter setzt jedoch hinzu, mutig, aber objektiv: “eine noch unmöglichere Lösung, seit den Waffen, seit dem Elsass, seit dem Blut!”.
Wird nicht Mallarmé, Übersetzer von Edgar Allan Poe, auf seinem persönlichen Ritt zum Eldorado die Livrée von Marasquin, von Miss Satin oder von Madame de Ponty tragen, er, der seine Leserinnen in der Wahl eines Korsetts bei Bon Marché berät; die des Probierers bei Brébant für die Gastronomie und die von Marliani, Tapezierer und Dekorateur, Fürst der Salons; alle diese kleinen Nadelarbeiten, die ihm halfen, ein bescheidenes Segelschiff zu erwerben, kaum vergleichbar natürlich mit der Thetis (oder soll man das Geisterschiff sagen?), die im Juli 1839 Wagner von Norwegen nach Boulogne brachte...Es war durchaus nötig, “die Hochöfen des Grossen Werks mit Brennstoff zu versorgen”!...
In der Tat hätte die Musik vielleicht besser Mallarmés Streben entsprochen als die Sprache, da der Dichter in Divagations (Irrungen) schreibt: “Die Musik schliesst sich dem Vers an, um, seit Wagner, die Dichtung zu formen” und auch “jede Seele ist eine Melodie, die es gilt, wieder anzuknüpfen.” Ähnelt nicht die typographische Anordnung von Un coup de dés...der musikalischer Partituren?
Letzte Analogie Wagner/Mallarmé in diesem Dialog von “animus/anima”: die Frauen. Sie heissen Schroeder-Devrient, Minna Planer, Mathilde Maier, Jessie Laussot, Cosima Liszt, Judith Gautier, Marie, Méry Laurent oder Berthe Morisot, deren Feuerblick auf der Leinwand von Manet an die unsterbliche Carmen seines Nachbarn Bizet, in Bougival, erinnert; diese Inspiratorinnen oder geheimen Ratgeberinnen, umgeben von einer Plejade schöner Geister oder von Künstlern, ohne die nichts möglich gewesen wäre: die Renoir, Degas, Monet, von Lenbach oder andere; alle gleichzeitig und einzeln, letzten Endes und am Ziel der Suche, Kundry, Elsa, Elisabeth, wenn nicht Isolde...
Hier fängt eine andere Geschichte an.
CLAUDE D’ESPLAS
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Übersetzung : Dagmar Coward Kuschke (Tübingen)
Discographie
Konzert Vagnera Zale, Riga, 3. Mai 1993
DVD Monsegur Vaillant in Moscow — ADG/Paris 2000
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